Verheizte Heimat: Seit 45 Jahren Widerstand gegen die Braunkohle und ökologische Probleme
"Bald 500 Meter tiefe Löcher, zerstörte Grundwasserspeicher, jahrzehntelange Umsiedlungen ganzer Dörfer, enorme Mengen Kohlendioxyd (CO-2), gefährlich für das Weltklima, da sich dadurch die globale Temperatur der Atmosphäre erhöht. Wie skrupellos und verschwenderisch wird mit der Erde umgegangen", heißt es schon vor fast 40 Jahren im Buch "Verheizte Heimat" der "Hambach-Gruppe", in der wir damals als junge Leute in Aachen aktiv waren.
Aktiven Widerstand gegen den Braunkohleabbau gibt es seit 1978, als die Hambach-Gruppe gegründet wurde und Menschen in Lich-Steinstraß oder Manheim gegen die Zerstörung ihrer Dörfer und des damals noch 40 Quadratkilometer großen und hunderte Jahre alten Hambacher Wald, erstmals auf die Straße gingen. Schon damals wurden die gravierenden ökologischen und sozialen Probleme aufgezeigt und eine "Energiewende" gefordert. So ist aktuell Lützerath der vielleicht letzte Kampf in einer langen Geschichte des Braunkohleabbaus und -verstromung, der eine zerstörte Landschaft und gravierende ökologische Probleme zurücklässt.
Und es gibt nur einen Gewinner: Der Braunkohlekonzern RWE und seine Aktionäre, die seit Jahrzehnten an dem ökologischen Totalschaden verdienen und große Gewinne machen, politisch unterstützt von SPD, CDU, FDP und Grünen. Die Macht und der politische Einfluss von RWE und der Energiekonzerne, gegen die Klimaziele, ist immer noch und weiterhin ungebrochen. Dabei sind die Politik und ihre Regierungsparteien immer wieder Vollzugsgehilfen. Zuletzt hat das Land NRW im Dezember 2022 die bergrechtliche Zulassung zur Fortführung des Tagebaus Garzweiler von 2023 bis 2025 erteilt. Dafür ist einzig und allein die jetzige CDU-Grüne Regierung verantwortlich.
Von SPD, CDU und FDP hat man kaum etwas anderes erwartet, als dass sie sich für den Energiekonzern, die Braunkohle und deren Verstromung einsetzen. Doch gerade die Grünen, deren Bundesspitze noch in dieser Woche vollmundig verkündet hat, das Jahr 2023 zum «Jahr des Klimaschutzes» zu machen, verspielt mit der weiteren und noch schnelleren Förderung und Verstromung der Braunkohle in NRW, die letzten deutschen Möglichkeiten zur Einhaltung der Klimaziele.
In Lützerath verweisen die Grünen nun auf Kompromisse mit den Bossen der Energiekonzerne und auf Koalitionszwänge. Inhaltlich auf den Erhalt von 5 Dörfern und den angeblich schnelleren Kohleausstieg bis 2030, dessen Vollzug aber auch erst noch Realität werden muss. Doch dass bis dahin noch wesentlich mehr Kohle abgebaut und verstromt wird sowie zwei Kohlekraftwerke länger betrieben werden, wird nur ungern erwähnt. Es diktieren Pragmatismus und Sachzwänge die Politik, und von der "Zeitenwende", welche SPD und Grüne für ihre Militärpolitik zur Unterstützung der Ukraine gern in Anspruch nehmen, ist beim Klimathema keine Spur.
Wenn uns die vergangenen drei Jahre Coronapandemie und Krieg jedoch etwas gelehrt haben, dann doch, dass undenkbar und unmachbar Erscheinendes in einer akuten Krise vorstellbar und machbar sein sollte. Seit Ende der 70er Jahre hatte man Zeit, eine andere und ökologischere Energiepolitik, mit immer weniger fossilen Energieträgern, zu realisieren. Passiert ist bis heute fast nichts, obwohl die Klimaveränderungen und dessen Auswirkungen immer bedrohlicher wurden. Doch zu verlockend waren die Gewinne und Kapitalinteressen, die mit der Braunkohle verbunden waren. Gewinne wurden privatisiert, die ökologischen Folgen sozialisiert, das waren über Jahrzehnte die Handlungsmaximen der Konzerne und der sie absegnenden Politik. Jetzt läuft die Zeit zum Aus- und Umstieg endgültig aus. Und man regiert in der Sachzwangfalle, da insbesondere andere Energieträger wie Gas knapp und sehr teuer sind.
Doch wenn Lützerath jetzt zerstört wird und die Bagger auf die Kohle darunter und westlich davon zugreifen, dann heißt das, dass potenziell 280 Millionen Tonnen Braunkohle nochmals unsere Klimabilanz weiter belasten. Das ist weit mehr, als klimaschutzverträglich noch akzeptabel ist. Die selbstgesteckten Klimaziele Deutschlands und der Pfad, der mit den Pariser Klimaschutzzielen vereinbar ist, kann so nicht mehr erreicht werden. Alle Gutachten zeigen ganz klar: Wenn die Kohle unter Lützerath abgebaggert wird, ist unser CO2-Budget überschritten.
Deshalb gilt es jetzt entschlossen entgegenzutreten. Es ist jetzt die letzte Chance zum Umsteuern. Und dabei muss deutlich gemacht werden, dass die schon im Vorfeld stattgefundene Kriminalisierung und Trennung in gute friedliche und böse militante Demonstrant*innen ein gern benutztes Ablenkungsmanöver ist. Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt gegen Menschen. Man kann aber jetzt aktuell bei der Räumung von Lützerath erleben, wie es Teil der medialen Stimmungsmache ist, auf die Gewaltbereitschaft der Demonstrant*innen zu verweisen. So wird versucht, nicht nur auch gewalttätige Einsätze der staatlichen Seite zu begründen, sondern von der dringend notwendigen Klimadebatte abzulenken.
Wir sollten uns von diesen Scheindebatten nicht ablenken lassen. Denn wieso wird die Klimakrise immer noch nicht als akute Krise begriffen, in der einmal Entschiedenes auch revidiert werden kann? Das Ende des fossilen Zeitalters muss jetzt schneller und tatsächlich endgültig kommen. Daher ist Lützerath genau das richtige Signal und nicht das falsche Symbol, wie es stellvertretend für die Bundesregierung Wirtschaftsminister Habeck behauptet. Der „Kompromiss“ – Lützerath wird abgebaggert, andere Dörfer dafür aber nicht – überzeugt eben nicht. Denn er basiert auf falschen Fakten, einer unheilvollen Allianz gegen das Klima, die von RWE, im Kapitalinteresse seit Jahrzehnten, durchgezogen, von der Politik immer wieder abgesegnet und in letzter Konsequenz von der Polizei mit der Räumung von Lützerath vollzogen wird.
Es gibt keine Ausreden mehr: Man hätte seit Jahrzehnten wissen können, was die Braunkohle mit dem Klima macht und deshalb muss jetzt Schluss sein!
Rüdiger Sagel, Mitglied im Landesvorstand NaturFreund*innen NRW
Es geht wirklich um was: Morgen (Samstag den 14.01.23), 12 Uhr, Lützerath - Großdemo. Kommt vorbei.