NaturFreunde wandern. Seit langer Zeit. Seit über 125 Jahren. Doch nie war das Wandern bloßes Freizeitvergnügen. Es war immer auch ein erschließen der Welt und Umgebung, in der wir Menschen wandern, ein Bewusstwerden über die Rolle von uns Menschen in dieser bewanderbaren Umwelt und ein Akt des Aktivismus. Denn Wandern war im 19. Jahrhundert ein Privileg der oberen Klasse, Natur war Besitz; Freizeit gab es nicht für die arbeitende Klasse.
Heute hat sich dieser Kampf gewandelt und NaturFreund*innen erkennen an, dass auch sie hier und heute in Deutschland und Europa weltweit gesehen auf der Seite der Privilegierten wandern. Natürlich gibt es noch immer die Notwendigkeit des Arbeitskampfes um gerechte Löhne, gerechte Arbeitszeiten und Anerkennung marginalisierter Berufsgruppen, doch steht dieser immer auch im Zusammenhang mit weltweiten Systemen, in denen wir Menschen uns bewegen.
Und dieser allumfassende Blick auf die Zusammenhänge, auf die eigene Rolle, in dem komplexen Gefüge der Bedinglichkeiten, erzeugt eine Überforderung, eine Ratlosigkeit, einen Frust des Nicht-Wissen-Wie. So formulierte es auch André Stinka bei seiner eingänglichen Rede zu Beginn der Versammlung „Wir wissen manchmal einfach nicht weiter“. Doch die NaturFreund*innen machen weiter; sie suchen ihre Verantwortlichkeit, sie erkunden die verschrobenen uneinsichtigen Wege, auf der unmenschlichen Landkarte des Kapitalismus. Sie blicken in die Spiegelung des eigenen Horizonts.
So war die Frage, wie sich NaturFreund*innen zeitaktuell positionieren und aktiv als zivile Akteur*innen gesellschaftlich beteiligen können, auf der Landesversammlung der NaturFreunde NRW am 03.09.2022 in Gelsenkirchen die zentrale Frage: Wie können die Privilegierten sich einsetzen für Mensch und Umwelt, die ausgebeutet, vernichtet, diskriminiert, übergangen werden?
Vier programmatische Anträge zum Selbstverständnis der NaturFreunde NRW wurden vor diesem Hintergrund auf der Versammlung behandelt und diskutiert:
„Naturfreundehäuser sind Orte des Schutzes für geflüchtete Menschen Die NaturFreunde NRW unterstützen die Initiative für ein Bürger*innen-Asyl “:
Eine unzählbare Menge an Menschen ist auf der Flucht. Vor Krieg, vor Verfolgung, vor Hunger, vor Perspektivlosigkeit. Entgegen ihrer Möglichkeiten übernehmen die Regierenden dieser Welt keine Verantwortung für diese Menschen und verursachen so tausende Tode. Dies beginnt bei absurden Asylrechtsvorgängen, geht über unterlassener Hilfeleistung und hört auch bei der Kriegstreiberei nicht auf. Die NaturFreunde sehen hier die Notwendigkeit einer handelnden Zivilgesellschaft, die von Menschlichkeit geleitet wird. Als zivilgesellschaftliche Organisation können und möchten die NaturFreunde daher Unterbringungen in den Naturfreundehäusern und andere Hilfeleistungen für Geflüchtete, wie Beratung und Grundversorgung, zur Verfügung stellen.
„Für den Frieden in Europa und gegen den Angriff auf die Ukraine“:
Heutzutage herrscht auf dieser Erde so viel Krieg, wie niemals zuvor. Darunter leiden nicht nur Millionen Menschen, sondern auch die Natur und Lebensräume in den Kriegsgebieten. Die NaturFreund*innen verurteilen jede Kriegshandlung und -begünstigung aufs Schärfste. Nicht nur in der Ukraine, in Jemen, in Irak, in Syrien, in Afghanistan, in Armenien, in Libyen, in Mali, Nigeria, Äthiopien, Rojava; Krieg und militärische Gewalt dürfen niemals und nirgends zum Einsatz kommen. NaturFreund*innen setzen sich für solidarische und soziale Friedenspolitik ein. Für Abrüstung, insbesondere die atomare Abrüstung und gegen Waffenexporte und militärischen Ausbau weltweit.
Seit Beginn sind die NaturFreund*innen Friedensaktivist*innen und werden alles dafür tun, was in ihren Möglichkeiten steht, sich weiterhin und noch verstärkt für Frieden und gerechte Lebensbedingung für alle Menschen einzusetzen.
„Diversität und Geschlechtergerechtigkeit“
Ein wesentlicher Bestandteil zur Schaffung einer gerechten Gesellschaft, die friedlich miteinander und mit ihrer Umwelt lebt, ist die gleichberechtigte Teilhabe aller darin lebenden Menschen. Wir NaturFreunde NRW erkennen an, dass wir in unseren Strukturen eine starke Überrepräsentation privilegierter Menschen der deutsch-männlich-weißen Dominanzkultur haben. Und dies obwohl immerhin 50% der Mitglieder weiblich sind. Daher werden alle Gruppen und Gremien dazu aufgerufen sich mit dieser Unterrepräsentation von einerseits FINTA (Frauen*, Inter*, Nicht-binäre* und Trans*), Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit Behinderung, und Menschen aus marginalisierten Gruppen generell zu befassen und Maßnahmen zu entwickeln, diesen Zustand zu verbessern. Dazu kann gerne die Stärkenberatung in Anspruch genommen werden. Die Gesellschaft ist pluralistisch und vielfältig und der Anspruch der NaturFreunde im 21. Jahrhundert muss sich dieser Pluralität angleichen.
„Freiwillige Selbstverpflichtung der Ortsgruppen zu Inklusion und Barrierefreiheit“
Seit 2021 gibt es im Landesverband NRW ein neues von Aktion Mensch gefördertes Projekt: „DemokratieFreund*innen inklusiv“. Das Thema Barrierefreiheit findet in den NaturFreunde- Ortsgruppen leider nur in Einzelfällen Auseinandersetzung. Dies hat ganz unterschiedlich Gründe; fehlendes Wissen, scheinbar keine direkte Betroffenheit, fehlende Finanzmittel usw. Doch auch hier greift der Selbstanspruch die pluralistische Gesellschaft abbilden zu wollen und auch in sie wirken zu wollen. Über Menschen zu sprechen ist stets hochproblematisch und in den meisten Fällen völlig unangebracht. Stattdessen haben sich die NaturFreunde NRW nun dazu entschlossen (und es ist höchste Zeit!) eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Barrierefreiheit einzugehen und nicht länger Menschen zu behindern!
Die Programmatik der vier eingebrachten Anträge auf der Landesversammlung fand zusätzlich auch nochmal Eingang in das Verbandsselbstverständnis durch Anpassungen der Satzung. So wurde u.a. eine neue Präambel beschlossen und eine Erweiterung der gemeinnützigen Vereinszwecke, damit in den Bereichen Inklusion, Diversitätsförderung und einigen mehr, auch ein größeres Spektrum an formellen Handlungsfeldern, wie etwa Förderung, möglich ist.
Die NaturFreund*innen in NRW haben sich die wunderbare Präambel zur Handlungsmaxime gesetzt und erfüllen diese mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit jeden Tag auf ganz unterschiedliche Weise: Ob es beim Kaffee-Trinken und dabei diskutieren ist, beim Wandern, beim Tanzen oder bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit ihrer Stadt, beim Demonstrieren, beim Schreiben von Broschüren, beim Singen, bei der Versorgung anderer, beim Pflegen ihrer Gärten, beim Anbringen von Nistkästen, Bepflanzen ihrer Umgebung, beim Sammeln von Unterschriften, bei Workshops gegen Rassismus oder beim Protestieren gegen Gewalt an Frauen ist. NaturFreund*innen können eine wichtige laute zivile Stimme sein. Wir sind nicht ohnmächtig. Und wir wollen noch stärker werden: wir haben nochmals unser Ziel bekräftigt, in den nächsten Jahren wieder mehr als 5.000 Mitglieder in NRW haben zu wollen.
Präambel:
1. Die NaturFreunde sind als Umwelt-, Kultur- und Freizeitorganisation den Idealen des demokratischen Sozialismus verpflichtet.
2. Sie fördern die Schaffung einer Gesellschaft, in der niemand aufgrund von kultureller und sozialer Herkunft, politischer Überzeugung, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Behinderung, des Aussehens, des Alters oder des Glaubens wegen benachteiligt wird und in der alle Menschen gleichberechtigt sind und sich frei entfalten können.
Die NaturFreunde wenden sich gegen Rassismus und Antisemitismus sowie gegen antidemokratische, nationalistische Tendenzen. Sie treten allen Diskriminierungen und Benachteiligungen aktiv entgegen.
3. Die NaturFreunde verstehen sich als Verband für nachhaltige Entwicklung. Nachhaltigkeit gilt ihnen als Handlungsmaxime, in der wirtschaftliche Entwicklung dauerhaft mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verträglichkeit verbunden wird.
Sie orientieren ihre Aktivitäten als Umwelt-, Kultur-, Sport- und Freizeitorganisation am Prinzip der Nachhaltigkeit.
4. Ihr Ziel ist es, dazu beizutragen, dass die Menschen sich ihrer Einbindung in die soziale und natürliche Umwelt bewusst werden und erkennen, dass sie nur dadurch in sozialer Gerechtigkeit und in Frieden leben und sich entwickeln können. Die NaturFreunde unterstützen aktiv Bemühungen für Frieden und Abrüstung.
5. Die NaturFreunde befassen sich mit sozial-, wirtschafts- und kulturpolitischen sowie sport-, naturschutz- und umweltpolitischen Fragen und nehmen zu ihnen öffentlich Stellung.
6. Die NaturFreunde arbeiten mit allen zusammen, die gleiche oder ähnliche Zielsetzungen verfolgen.