Kürzlich wurden wir in einem unserer Workshops von Teilnehmenden gefragt, ob es tatsächlich Teil von guter Verbündetenschaft sei, wählen zu gehen - unsere klare Antwort darauf ist: Ja!
Wählen zu dürfen ist nicht nur ein staatsbürgerliches Recht, für das in der Weltgeschichte viele Menschen ihr Leben gelassen haben, sondern auch ein Privileg. Denn das Teilen von Ressourcen und Macht mit marginalisierten Gruppen ist ein solidarischer Akt des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Kampf gegen Diskriminierung.
Damit meinen wir natürlich nicht, einfach das zu wählen, was einem gerade in den Sinn kommt, sondern sich damit auseinanderzusetzen, was die Bundestagswahl und ihr Ausgang für marginalisierte Menschen bedeutet und dann für ihren Schutz und ihre Rechte zu stimmen und nicht den Faschist*innen in unserer Gesellschaft die Gestaltungsmöglichkeiten hin zu ihren menschenfeindlichen Verhältnissen zu überlassen.
Mehr als 10% der in Deutschland lebenden volljährigen Menschen haben aufgrund einer fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft kein Wahlrecht in Deutschland, obwohl viele von ihnen bereits seit weit über 15 Jahren Teil unserer Gesellschaft sind. Seit der Modernisierung des Gesetzes zur doppelten Staatsbürger*innenschaft im Juni 2024 steigt die Zahl der doppelten Staatsangehörigkeiten und damit die Möglichkeit für viele Menschen, sich an der Gestaltung des Landes, in dem sie leben, zu beteiligen.
Und kaum ist eine Möglichkeit der Teilhabe geschaffen, gelingt es einem wütenden Mann aus dem Sauerland mit Unterstützung von Rechtsextremen durch Bundestagsbeschluss, Bürger*innen erster und zweiter Klasse zu schaffen und Menschen erneut ihrer Rechte zu berauben, als müsse man sich durch besonders gutes Benehmen erarbeiten, was andere durch Geburt „verdient“ haben - wohin diese Reise geht, ist leicht zu erkennen. Grundrechte zu entziehen scheint ohnehin sein Ding zu sein, denn auch vor dem Asylrecht macht er nicht halt und hat auch hier mit Unterstützung der Rassist*innen dafür gestimmt, dass Menschen ihr Recht auf Schutz entzogen wird, egal wie sehr dies gegen die Genfer Konvention, deutsches oder europäisches Asylrecht verstößt. Ganz vergessen hat er dabei, dass das Asylrecht 1949 in die deutsche Verfassung aufgenommen wurde, weil Deutschland einen Völkermord an den Jüd*innen und Sinti*zze und Rom*nja begangen hat.
Das war auch einer der Gründe für die Genfer Konvention, denn nie wieder sollte Menschen der Schutz vor Vernichtung verweigert werden. Im Jahr 2025, in dem sich die Befreiung Deutschlands vom Faschismus zum 80. Mal jährt, möchten Politiker*innen also etwas abschaffen, das auch auf Grund der deutschen Grausamkeit geschaffen wurde.
Und der Ausgang der Wahl, wenn wir sie den Menschenfeind*innen überlassen, betrifft nicht nur Menschen, die nicht wählen dürfen, sondern auch andere Personen, die von einfacher oder mehrfacher Diskriminierung betroffen sind: Menschen mit Migrationsgeschichte in der Familie, Menschen mit doppelter Staatszugehörigkeit, Menschen die behindert werden, Menschen aus der queeren Community, Frauen und TINA* (trans*Personen, Inter*Personen, Non-Binary*Personen und Agender*Personen) und viele mehr. Unsere Aufgabe als Verbündete ist es, für all diese Menschen zu stimmen, egal ob wir selbst betroffen sind oder nicht, denn nur eine Gesellschaft, die ihre verletzlichen Gruppen schützt, ist eine wehrhafte Gesellschaft!
80 Jahre nach der vermeintlichen Befreiung Deutschlands vom Faschismus wird sich also bei der kommenden Bundestagswahl entscheiden, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln will. Sind Demokratie und Humanismus noch die Werte und Systeme, in denen wir leben werden, oder stehen trumpistische und autokratische Veränderungen, in denen Grundrechte zur Verhandlungsmasse werden, auch hier bald noch mehr auf der Tagesordnung als ohnehin schon.
Wir fordern euch daher auf: Wenn ihr wählen dürft, dann geht wählen! Nutzt eure Privilegien uneigennützig, wählt für all jene, die nicht wählen dürfen, für all jene, deren Rechte beschnitten werden, für all jene, deren Leben in Gefahr ist, wenn wir als Gesellschaft sie nicht schützen. Seid gute Verbündete, ihr wisst nicht, wann auch ihr mal welche braucht!