Die nordrhein-westfälische Lippe wird seit Jahrzehnten renaturiert – ein Überblick
Am Ende des Winters kommen die Störche. Darauf können sich die Menschen im nordrhein- westfälischen Hamm verlassen. Mehrere Brutpaare fliegen ihre angestammten Nester in den nahen Lippeauen jedes Jahr wieder an. Erste Sichtungen gibt es schon Anfang Februar.
Das war nicht immer so: Lange war die Lippe, die am Fuße des Teutoburger Waldes entspringt und nach 220 Kilometern bei Wesel in den Rhein mündet, eine Art „Arbeitstier“ der Industrieregion. Der Fluss liefert Kühlwasser für Kraftwerke, speist Schifffahrtskanäle und führt Abwasser von 1,4 Millionen Menschen ab.
Nachdem in den 1990er-Jahren die Gewässergüte der Lippe durch den massiven Aus- und Neubau von Kläranlagen drastisch verbessert wurde, leiteten erste Renaturierungs-Projekte im Oberlauf auch die Wende hin zu einer besseren Gewässerstruktur ein: Unterhalb von Lippstadt und am Lippesee in Sande wurde der Fluss teilweise auf neue, naturnahe Trassen verlegt. Im Jahr 2005 begann dann mit dem „LIFE-Projekt Lippeaue“ die erste große Renaturierung an der mittleren Lippe, die auch den Einwohnern der Großstadt Hamm vielfältige Möglichkeiten bietet, die neu entstandene Natur aus nächster Nähe zu erleben. Der Storch symbolisiert diese Entwicklung.
Parallel dazu wurde entlang des gesamten Flusslaufes eine Infrastruktur geschaffen, die dem sanften Tourismus entgegenkommt. Vier selbst bedienbare Personenfähren gibt es nun zwischen Hamm und Wesel. Die attraktive „Römer-Lippe-Route“ erschließt die Flusslandschaft auch Radfahrern, berührt die Lippe selbst dabei aber nur gelegentlich.
Das hat Gründe: Das große ökologische Potenzial der Lippe basiert gerade auf ihrer relativen Abgeschiedenheit. Die meisten Uferabschnitte sind kaum zugänglich – gut für die Natur. Angler und Kanuten wissen noch am besten, wo man an die Lippe herankommt. Ein Dutzend Kanuvereine säumen diesen Fluss.
In den letzten Jahren hat die Entwicklung zu einem naturnahen Fluss einen Quantensprung erfahren. Einerseits zeigen die bereits umgesetzten Veränderungen des Fließgewässers Wirkung: Biber und Fischotter werden gesehen, die Artenvielfalt in und an der Lippe steigt. Auch wenn die Fischfauna aktuell durch die Verbreitung aggressiver Grundel-Arten stark unter Druck steht.
Auf der anderen Seite kommt die Renaturierung der Lippe mit mehreren Großprojekten voran: Im Jahr 2014 wurde die neue Lippeaue bei Wesel fertig gestellt, für die die Lippe um einige Hundert Meter verschwenkt wurde. Im Jahr 2016 begann der Lippeverband den Bau von fünf Kilometer neuen Deichen bei Haltern-Lippramsdorf und Marl. Auch hier entsteht eine neue Aue, durch die in acht Jahren eine flache Lippe mit mehreren Armen fließen soll.
Im gleichen Jahr startete 15 Kilometer flussaufwärts ein weiteres großes Renaturierungsprojekt: die „Fluss- und Auenentwicklung Lippe bei Haus Vogelsang“. Vor allem durch Bodenabtrag an den Lippeufern kommt hier die Aue dem Fluss entgegen, so dass die Ufer schon bei mittleren Wasserständen überflutet werden können.
Dem Idealbild eines breiten und flachen Flusses, der in den Innenkurven Sandstrände ausbildet und sich mit Altarmen in die Landschaft verzweigt, kommen die Ingenieure in diesem Projekt am nächsten.
Das Ziel der umfangreichen Renaturierungsprojekte ist eine über weite Strecken naturnahe Lippe, die in friedlicher Nachbarschaft mit der Landwirtschaft, der urbanen Zivilisation und dem postmontanen Gewerbe durch eine attraktive Flusslandschaft fließt. Am Ende des nächsten Jahrzehnts soll dieser Zustand erreicht sein.
Michael Steinbach, Lippeverband